Es kommt so oft auf Kleinigkeiten an. Das aufmerksame Hinhören und Beobachten ist gerade im Umgang mit Schüler:innen, denen in ihrem jungen Leben bereits häufig ohne Wertschätzung begegnet wurde, immens wichtig. Wäre ich unaufmerksam gewesen, ich hätte diesen Moment verpasst – und das wäre schade gewesen. Erwarten Sie jetzt kein Feuerwerk – aber wenn sich beim Feuermachen (nicht einfach so mit dem Feuerzeug, sondern durch mühsames Reiben von zwei Holzstöckchen) ein Funke zeigt: Das hat eine stille Schönheit.
„Der Glaube an Schüler:innen kann einiges bewirken“
Eine Fellow-Weihnachtsgeschichte von Julian Werth
In meinem Unterricht, in dem neu zugewanderte Jugendliche teilnehmen, um Deutsch zu lernen, haben wir einen Klassenrat eingeführt. Dort können Schüler:innen mit den Lehrkräften oder untereinander verschiedene Themen offen besprechen. Die Klasse besteht aus insgesamt etwa 20 Schüler:innen. Da sie aus unterschiedlichen Ländern kommen, werden auch verschiedene Sprachen gesprochen. Die meisten finden dort schnell Anschluss, da sie jemanden finden, der die eigene Muttersprache auch beherrscht. Ein paar sind mit ihrer Sprache jedoch allein. Und daher kam es inmitten des Stimmenwirrwarrs unterschiedlicher Sprachen zu diesem besonderen Moment: Ein eigentlich sehr stiller und eher schüchterner Schüler aus Eritrea, der an der gesamten Schule der einzige Amharisch-Sprechende ist, ergriff das Wort und sagte mit leiser Stimme: „Warum sprecht ihr nie Deutsch, wenn ich dabei bin?“ Es war ein mutiger, ein wirklich starker Moment. Ganz allein an einer neuen Schule, alle sprechen andere Sprachen, und gemeinsam lernen sie Deutsch. Doch wenn alle weiterhin Arabisch, Albanisch, Türkisch usw. sprechen, mit wem spricht er dann? Mit wem kann er sich unterhalten? Die anderen hatten wohl noch nie darüber nachgedacht, selbst wir Lehrkräfte hielten kurz inne. Das war mein schönster Moment als Fellow bisher. Der Schüler handelte selbstwirksam, er zeigte Mut, er agierte als Augenöffner für uns alle. Das empfand ich als zutiefst bewegend und inspirierend.
Es bestärkt mich in meiner Gewissheit, dass in den Kindern und Jugendlichen genau das steckt, was wir ihnen zutrauen – und sehr oft mehr als sie selbst denken. Der Glaube an einen Schüler oder eine Schülerin und der damit verbundene Umgang mit ihnen kann einiges bewirken. In meiner Klasse mit den jungen Menschen aus Ländern wie Albanien, Syrien, der Türkei oder auch Eritrea, sehe ich zukünftig selbstwirksame, gebildete und aufgeschlossene Menschen, die trotz ihrer teils komplizierten individuellen Geschichten – oder gerade auch deswegen – eine offene Gesellschaft der Zukunft prägen werden. Es ist schön, daran teilzuhaben – und wenn es nur dadurch geschieht, dass man wirklich zuhört.
Über Julian
Julian ist seit Sommer 2022 Fellow an der Fritz-Boehle-Grund-und Werkrealschule in Emmendingen. Dort begleitet er seine Schüler:innen v.a. im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Vor seinem Felloweinsatz studierte er Philosophie und BWL.
Helfen Sie Julian und uns eine offene Gesellschaft zu prägen und ermöglichen Sie allen Kindern und Jugendlichen eine gute Bildung – unabhängig von ihren Startbedingungen.