Ein Blogbeitrag von Fellow Laura Seibert
Am Anfang hatte ich die Idee, eine Bibliotheks-AG zu gründen und einmal die Woche gemeinsam mit den Schüler:innen in die Stadtteilbibliothek zu gehen. Daraus entstand dann die AG „Alles rund um Bücher“, die sechs Schüler:innen im Alter von 12-15 Jahren besuchen. Meine Motivation rührt zu großen Teilen daher, dass ich selbst eine Leseratte bin. Dadurch habe ich mich gefragt, was braucht es eigentlich, um jemanden zum Lesen zu bringen? Wie weckt man die Begeisterung für Bücher?
Ganz grundsätzlich sind Lesekompetenzen entscheidend für Bildungserfolg. Durch die Coronapandemie und die damit verbundenen Schulschließungen gilt es mehr denn je, Lesen und Schreiben intensiv und kreativ zu fördern, um den Schüler:innen die bestmöglichen Teilhabechancen zu eröffnen. Das war für mich auch eine große Motivation, Fellow zu werden.
Lesen und kreatives Schreiben ermöglicht zudem einen Zugang zu sich selbst und zu anderen. Die Jugendlichen lernen, sich in andere hineinzuversetzen und probieren Wege aus, wie man mit Worten die eigenen Gedanken und Gefühle ausdrücken kann. Mich motiviert besonders, dass meine Schüler.innen lernen, sich und ihre Bedürfnisse selbstbewusst zu artikulieren. Damit kann ich sie in ihrer Selbstentfaltung und Selbstwirksamkeit unterstützen.
Praxistipp Nr.1: Vielfältige Methoden nutzen
Während der AG haben wir viele spielerische Schreibmethoden ausprobiert, so zum Beispiel das assoziative Erzählen mithilfe von StoryCubes oder das gemeinsame experimentelle Schreiben in Form des Knickspiels, nur mit Sätzen statt mit Figuren. Assoziatives Denken und spontanes Schreiben finde ich wichtig, um den Spaß am Schreiben zu fördern. Zur Stärkung der Medienkompetenz haben wir unsere Ergebnisse in einem Padlet aufbereitet und festgehalten.
Praxistipp Nr.2: Alle Sinne schärfen
Zur Schärfung der Wahrnehmung sind wir rausgegangen und haben beim Erkunden des Schulgeländes unsere Sinne trainiert: So haben wir das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ auf die anderen Sinne ausgedehnt und festgestellt, wie schwierig es eigentlich sein kann, Sinneswahrnehmungen zu beschreiben.
Praxistipp Nr.3: Eine Lektüre wählen, die mit der Lebenswelt der Schüler:innen zu tun hat
Alumna Sara Hauser hat mit einer Gruppe von Schüler:innen während ihres Fellow-Einsatzes ein Chap-Book mit dem Titel „Fucked Up“ herausgegeben. Dieses habe ich mit meinen Schüler:innen, die davon ganz begeistert waren, gelesen und besprochen. Ihre Begeisterung kam vor allem dadurch zustande, dass der Lyrik-Band, geschrieben von Jugendlichen in einem ähnlichen Alter, eine ungeheure Neugier bei meinen Schüler:innen geweckt hat. Fucked-Up bietet eine unvergleichliche Identifikationsmöglichkeit.
Die Lieblingstexte meiner Schüler:innen aus Fucked-Up sind beispielsweise:
- Schick mir keine Videos
- Rassismus
- Vieles geht mir durch den Kopf
- Egal, wo wir hingehen
Die Erfahrungen, Beobachtungen und Gedanken der Autor:innen sind meinen Schüler:innen sehr nahegegangen. Es gab beim gemeinsamen Lesen in der AG richtige Gänsehaut-Momente.
Praxistipp Nr.4: Workshop lyrisches Schreiben
Verstärken konnte ich das Interesse noch durch die Begegnungen mit Salman Dalfe, einem der Autor:innen des Chap-Books „Fucked up“, und Sara Hauser. Durch die Förderung der Stiftung Bildung im Rahmen des Chancenpatenschaften Programms konnte ich Sara und Salman für einen Workshop zum lyrischen Schreiben an meiner Schule einladen.
Im Vorhinein habe ich mit den Jugendlichen Fragen gesammelt. Was wollt ihr von den Autor:innen wissen? Die wohl brennendste Frage war: „Wie habt ihr es geschafft, die Gefühle so rüberzubringen? Wie habt ihr es geschafft, das zu sagen, was ihr denkt und fühlt?“
Genau das konnten Salman und Sara ihnen im Workshop vermitteln. Die starke Rückkopplung an die eigene Erfahrungswelt und das Aufgreifen eigener Interessen hat für eine große Motivation gesorgt.
Sara Hauser hat die Jugendlichen bestmöglich abgeholt. Ihr mehrsprachiger, kreativer, assoziativer, materialgestützter Ansatz hat alle begeistert und aktiviert. Alumna Sara Hauser ist für mich eine wichtige Inspirations- und Informationsquelle. Ich stehe mit ihr in regem Austausch.
Die Freiheit, selbst zu wählen, in welcher Sprache man schreibt, haben die Jugendlichen als Bereicherung empfunden. Persönlich hat es mich sehr bewegt, dass beim Vorlesen der Texte der Raum plötzlich so vielsprachig erklang, wie die Jugendlichen sind.
Jede:r der Teilnehmenden hat in dem Workshop neue Texte geschrieben. Die Köpfe haben geraucht, neue Bilder haben Gestalt angenommen.
Praxistipp Nr.5: Kooperationen finden
Ich kann die Einbindung von Sara Hauser als Lyrikvermittlerin und Schreibcoach nur empfehlen. Der Zugang zur Sprache, den sie ermöglicht, ist einmalig. Ihre Kooperation mit Salman Dalfe hat meinen Schüler:innen ermöglicht, jemand in ihrem Alter als Ansprechpartner und Experte schätzen zu lernen. Deshalb freue ich mich sehr, auch in diesem Halbjahr wieder mit den beiden zu kooperieren.
Praxistipp Nr.6: Raus aus der Schule! Exkursionen machen
Ein großes Erfolgserlebnis und Highlight war für uns der Besuch der Uni-Potsdam. Hierher hatte uns Sara Hauser ins Seminar zur Didaktik inklusiven Deutschunterrichts eingeladen, um unsere AG vorzustellen. Die Schüler:innen berichteten als Expert:innen angehenden Lehrkräften, was für sie guten Unterricht ausmacht. In der Fragerunde hat die Jugendlichen sehr interessiert, welche Sprachen die Studierenden sprechen und woher sie kommen. Und warum sie Lehrer:innen werden möchten. Und ob sie die Uni Potsdam weiterempfehlen würden. Es hat meinen Schüler:innen im Seminar so gut gefallen, dass sie unbedingt wieder in die Uni gehen wollen.
Praxistipp Nr.7: Kleine Gruppen, Austausch und Planungseinbindung der Jugendlichen
Das Besondere an dem AG-Format ist, dass es viel Zeit gibt, sich auszutauschen. Gleichzeitig fordere ich die Jugendlichen, indem ich sie stark in die Planung von Ausflügen einbeziehe. Ich möchte, dass sie lernen, selbständig an Projekten zu arbeiten. Die kleine Gruppe von sechs Jugendlichen (7.-9. Klasse, Alter: 12 bis 15) macht es zudem möglich, gezielt auf einzelne Bedürfnisse und Interessen einzugehen. Meine Erfahrung ist, dass es sich lohnt, das Miteinander zu stärken und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Der Austausch von Gedanken, Meinungen und Interessen ist sehr wichtig, um einen Raum zu schaffen, in dem die Jugendlichen sich öffnen und ihre Texte anderen vorlesen.
Mein bisheriges Fazit:
Mir macht es Spaß, neue Methoden und Wege auszuprobieren, Kooperationen einzugehen, von anderen zu lernen und mich begeistern zu lassen. Es begeistert mich zum Beispiel, zu sehen, wie die Gruppe zusammenwächst. Eine große Freude sind die Gespräche, die mit den Jugendlichen entstehen und zu sehen, wie sie Neues ausprobieren, Neues lernen und dabei selbstbewusster werden.
Und wie geht es jetzt weiter?
Auf Wunsch der Jugendlichen führe ich die AG im aktuellen Schuljahr weiter. Derzeit sind wir in einer noch in der Planungsphase. Wir haben vor, weitere Workshops und Ausflüge zu machen, eigene Texte zu editieren, zu lesen… und weiteres mehr.
Über mich
Ich bin zu Teach First Deutschland gekommen, weil ich im ersten Corona-Sommer ehrenamtlich ein kleines Comic-Projekt für Kinder organisiert hatte, um die Schulschließungen zu kompensieren. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Danach wollte ich unbedingt Vollzeit mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, deshalb habe ich mich als Winterfellow bei Teach First Deutschland beworben. Im Januar 2022 fing ich am Campus Hannah Höch in Berlin Wittenau an. Davor habe ich meinen Master in Philosophie abgeschlossen, in der Studienberatung gearbeitet und u.a. in der Berufsorientierung gejobbt. Mein aktuelles Lieblingsbuch sind die Wilden Detektive von Roberto Bolaño. Seitdem ich in der Schule arbeite, besteht meine Lektüre allerdings fast ausschließlich aus Krimis, weil mir für anderes die Zeit fehlt.