Berliner Senat und Teach First Deutschland im Austausch zur Gewinnung von Lehrkräften
Fast 900 Lehrkräfte fehlen an Berlins Schulen. Besonders betroffen sind Schulen in schwieriger Lage, die ohnehin mit hoher Personalfluktuation zu kämpfen haben. In Berlin unterrichten viele Quereinsteiger:innen. Teach First Deutschland ist davon überzeugt, dass diese mit der richtigen Ausbildung und Begleitung ein großer Gewinn für die besonderen Herausforderungen dieser Schulen sein können: Sie bereichern die Lehrkraftkollegien mit ihren fachlichen Kompetenzen, Praxiserfahrungen und einem anderen Blickwinkel auf das System Schule. Insbesondere Teach Fist Deutschland-Fellows, die in Berlin seit 13 Jahren gezielt in Schulen in herausfordernden Umfeldern arbeiten, bringen ideales Rüstzeug für einen Quereinstieg mit. Das Problem: Derzeit wirken die Zugangsbedingungen für das Berliner Quereinstiegsprogramm „QuerBer“ eher hoch, sodass sie dem Land vielleicht als wertvolle Quereinsteiger:innen verloren gehen.
Wie der Übergang vom Felloweinsatz in den QuerBer attraktiver gestaltet werden kann – darum ging es bei einem Pressegespräch am 14.11.22 in der Schule am Schillerpark mit Anja Herpell (Referatsleiterin Lehrkräftebildung in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie), Schulleiter Ronald Fischer (Schule am Schillerpark) sowie Fellows und Alumni:ae von Teach First Deutschland. „Quer- und Seiteneinstieg an Schulen in herausfordernder Lage“ ist ein Programm von Teach First Deutschland und wird gefördert von der Schöpflin Stiftung und der Wübben Stiftung.
Teach First Deutschland
ist davon überzeugt, dass Quereinsteiger:innen mit der richtigen Ausbildung und Begleitung ein großer Gewinn für Schulen in herausfordernden Umfeldern sein können.
Sie würden ja gerne, aber sie können nicht – ohne Weiteres
Heike Yürgüc ist Fellow an der Willy-Brandt-Schule im Wedding. Die ehemalige PR-Managerin war vorher in der freien Wirtschaft tätig. Dort haderte sie, wie sie in der Runde beschreibt, mit der Sinnhaftigkeit ihrer Aufgaben: “Ich habe abends den Laptop zugeklappt und nicht gewusst, was ich eigentlich den ganzen Tag gemacht habe.” Auf der Suche nach etwas Sinnvollem winkte der Weg in den Bildungsbereich. Sie interessierte sich für einen Quereinstieg an der Schule, der ihr als studierte Kommunikationswissenschaftlerin allerdings nicht ohne Weiterqualifikation möglich ist. Dann entdeckte sie Teach First Deutschland, die ihr den Weg in die Schule eröffnete: „Jeder Tag, an dem ich an der Schule bin, ist für mich sinnhaft und hoffentlich auch wirkungsvoll für die Schüler:innen,“ schwärmt sie. Flexiblere Wege in den Quereinstieg, bei denen alle Fellows nach ihrem Einsatz die Möglichkeit hätten, als Lehrkraft in die Schule einzusteigen, gäben mehr Menschen einen Anreiz, Fellow zu werden, so Yürgüc. Eine Win-Win-Situation, von der die Schüler:innen, deren Schulen sich in sozialen herausfordernden Umfeldern befinden, am meisten profitierten.
„Jeder Tag, an dem ich an der Schule bin, ist für mich sinnhaft und hoffentlich auch wirkungsvoll für die Schüler:innen.“
Fellow Heike Yürgüc
Lehrkraft werden auf Umwegen
Florian Fischer Müncheberg ist Alumnus von Teach First Deutschland. Er hat einen Bachelorabschluss in Klassischem Gesang. Nach seinem Felloweinsatz ist er zunächst als Seiteneinsteiger in Teilzeit an der Schule im Schillerpark verblieben. Parallel dazu absolviert er den Berliner Quereinstiegsmaster Lehramt Musik („Q-Master“), ein Pilotprojekt in Berlin. Dieser Masterstudiengang, dessen ganzer Titel „Lehramt Musik an Integrierten Sekundarschulen (ISS) und Gymnasien – Quereinstieg“ lautet, richtet sich an Absolvent:innen der künstlerischen bzw. künstlerisch pädagogischen Ausbildung. “Ohne diesen Studiengang hätte es für mich keine andere Option gegeben Lehrer zu werden – außer vielleicht ich hätte, wie ein anderer ehemaliger Fellow, nochmal das Grundstudium fürs Lehramt gemacht,” erzählt Florian Fischer Müncheberg, der die Diskussionsrunde eröffnet. Wie die anderen anwesenden Fellows und Alumni:ae, spricht er sich für eine weitere Flexibilisierung der Einstiegsmöglichkeiten und mehr Anerkennung von bereits vorhanden Qualifikationen für den Quereinstieg aus, darunter auch der Praxiserfahrung aus dem zweijährigen Felloweinsatz mit Teach First Deutschland.
Alumnus Florian Fischer Müncheberg (rechts im Bild) ärgert sich über das schlechte Image von Quereinsteiger:innen, das von manchen Medien heraufbeschworen wird.
Mit dem schlechten Image von Quereinsteiger:innen aufräumen
Alumnus Florian Fischer Müncheberg ärgert sich über das schlechte Image von Quereinsteiger:innen, das von manchen Medien heraufbeschworen wird. “Erst letzte Woche las ich einen Artikel über Quereinsteiger:innen an Schulen. Darin hieß es, und ich paraphrasiere: Leute ohne Eignung und ohne Plan kommen an die Schule und machen, was sie wollen.” Wer sich mit dem Thema Quereinstieg und Einstieg ins deutsche Schulsystem beschäftigt, wird schnell erkennen, dass ein derart skizzierter Eintritt als Lehrkraft an Schule schier unmöglich ist. Für den Quereinstieg als Lehrkraft an Berliner Schulen gibt es klare Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen.“ Berlin hat einen geregelten Quereinstieg”, so Referatsleiterin Anja Herpell. Mit der erfolgreichen Beendigung des berufsbegleitenden Referendariats wird ein bundesweit anerkennungsfähiges Lehramt erworben. Jährlich bewerben sich 5000 Interessierte für einen Quereinstieg. In den vergangenen Jahren erfüllten maximal 600 Interessierte eines Jahrgangs die Qualifizierungsvoraussetzungen und konnten den Quereinstieg beginnen.
Zugangshürden für Fellows senken und flexible Quereinstiege ermöglichen
Gemeinsam mit dem Berliner Senat sowie der Unterstützung der Schöpflin und der Wübben Stiftung möchte Teach First Deutschland den Übergang von seinem Leadership-Programm in den Berliner Quereinstieg kohärenter und damit niedrigschwelliger gestalten. Denn durch die Teilnahme am Leadership-Programm von Teach First Deutschland sind die Fellows, die zwei Jahre Praxiserfahrung an der Schule sammeln und durch ein Coaching und zusätzliche Weiterbildungsseminare begleitet werden, bereits auf einen Quereinstieg an Schulen in schwieriger Lage vorbereitet. Teach First Deutschland spricht sich auch dafür aus, dass Einstiegswege bei Aufrechterhaltung der Qualität der Programmteilnehmenden weiter flexibilisiert werden, damit möglichst viele qualifizierte Menschen unkompliziert den Weg ins deutsche Schulsystem finden.
„Die Fellows haben einen anderen Blick. Sie bringen ganz andere Lebenserfahrungen mit. Die Fellows haben auch anderen, technisch nicht so affinen, Lehrkräften geholfen. Wir sind da sehr dankbar für.“
Ronald Fischer, Schulleiter der Schule am Schillerpark
Fellows und Quereinsteiger:innen: Keine Lückenbüßer, sondern eine echte Bereicherung für die Schulen
Ronald Fischer, Schulleiter der Schule am Schillerpark, arbeitet seit vielen Jahren mit Teach First Deutschland zusammen und hat mit den Fellows an seiner Schule nur positive Erfahrungen gemacht. Er möchte ihre Arbeit nicht mehr missen: „Die Fellows haben einen anderen Blick. Sie bringen ganz andere Lebenserfahrungen mit. Sind sehr engagiert, haben viele Kompetenzen, beispielsweise IT-Kenntnisse. Die Fellows haben auch anderen, technisch nicht so affinen, Lehrkräften geholfen. Wir sind da sehr dankbar für. Die engagierte Arbeit der Fellows hat auch zu einer hohen Akzeptanz durch die anderen Lehrkräfte geführt.“ Anja Herpell pflichtet ihm bei: „Wir sind von dem Fellow-Programm 100 Prozent überzeugt und ich habe eine hohe Anerkennung für diese Menschen, die bewusst an Schulen in schwierigen Lagen wirken.“ Fellow Laura Seibert, die ihren Einsatz aktuell am Campus Wittenau absolviert, verweist auf weitere Stärken der Fellows: “Eine Sache, die wir als Fellows mitbringen, sind Soft-Skills und eine krasse Teamfähigkeit. Wir haben einen großen Wissensaustausch untereinander und sind sehr gut vernetzt, auch mit anderen Schulen. Wir wissen, was wo gut funktioniert und stehen auch mit verschiedenen Fellows und Alumni:ae in gutem Kontakt.“
„Wir sind von dem Fellow-Programm 100 Prozent überzeugt und ich habe eine hohe Anerkennung für diese Menschen, die bewusst an Schulen in schwierigen Lagen wirken.“
Anja Herpell, Referatsleiterin Lehrkräftebildung in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
Der Blick in die (nahe) Zukunft und ein Fazit
Bei den Berliner Fellows besteht ein großes Interesse am Quereinstieg. Sie empfänden es als wichtige Wertschätzung, wenn die innerhalb ihres Felloweinsatzes erworbenen Kompetenzen als Scheine für den Quereinstieg angerecht werden könnten. Hinsichtlich der Flexibilität von Regeln und Kriterien zum Quereinstieg bleibt es jedoch ein Spagat zwischen dem, was theoretisch möglich und dann in der Praxis umsetzbar ist. Erschwerend hinzu kommt, dass es bisher bundesweit keine einheitlichen Standards für Quer- und Seiteneinstiege und deren Anerkennung gibt – auch, weil sie bisher noch unter der Überschrift „Notprogramme für die Behebung des Lehrkräftemangels“ laufen. Aber Referatsleiterin Anja Herpell macht deutlich: „Es ist maximale Offenheit im Spiel. Der zweite, alternative Weg ins Lehramt muss offengehalten werden.” Sie verweist darauf, dass Berlin im kommenden Jahr in der Kultusministerkonferenz (KMK) den Vorsitz der Präsidentschaft hat und man dort auch über das Thema Quereinstieg diskutieren könne. Weitere Gespräche zwischen Teach First Deutschland, der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und den Stiftungen sind geplant. Schon jetzt arbeiten die Senatsverwaltung und Teach First Deutschland eng zusammen. Künftig bietet die Senatsverwaltung einmal im Monat speziell für die Fellows eine individuelle Beratungsstunde an, in der sie klären können, welche Kriterien sie erfüllen müssen, um einen Quereinstieg zu schaffen.
Abschließend bleibt nur zu wiederholen, was Schulleiter Ronald Fischer zum Ende des Pressgesprächs zu den Fellows sagt: „Ihr macht eine gute Arbeit. Danke! Bleibt dran, werdet Lehrer:in! Oder bleibt in der Bildung.“