3. März 2022

Wie wir an Schule wieder zu Schüler*innen werden

Helena Horn arbeitet seit eineinhalb Jahren als Fellow von Teach First Deutschland (Fellowjahrgang 2020-2022) in unserem Leadership-Programm an einer Oberschule in Chemnitz. In ihrem Blogbeitrag teilt sie ihre Erfahrungen und beschreibt, was wir von den Schülerinnen und Schülern lernen können. Ihr Fazit: Indem wir andere Menschen verstehen lernen, lernen wir uns selbst auf einer neuen Ebene kennen.

Schule ist für mich ein Ort, an dem unterschiedlichste Lebensrealitäten mit den verschiedensten Erfahrungen, Gefühlen und Bedürfnissen aufeinanderprallen sowohl im Kollegium als auch unter den Schüler*innen. Ich spreche hier aus der Perspektive des Fellows, wenn ich sage, dass der Arbeitsplatz Schule damit sowohl das große Potential hat, ein Ort des massiven inneren und äußeren Konflikts zu werden als auch ein Ort werden kann, in dem wir Situationen und Menschen als eine Einladung verstehen, eine offene und verständnisvolle Grundhaltung gegenüber anderen und somit gegenüber uns selbst zu entwickeln. Denn indem wir andere Menschen verstehen lernen, lernen wir vor allen Dingen uns selbst auf einer neuen Ebene kennen. Mit diesem Text möchte ich einen Einblick geben und eine Idee davon vermitteln, was es im Arbeitsalltag bedeuten kann, eine solche Haltung einzunehmen. Diesem Text liegt dabei kein Gedanke von so muss es sein zugrunde, er ist als eine Einladung zu verstehen, eine neue Perspektive zuzulassen. 

Das Wetter in Schule kann schnell umschlagen und uns mit großer Wucht in Gefühlszustände katapultieren, die so nicht geplant auf unserem Stundenplan auftauchen und auf die wir uns nicht immer vorbereiten können. Denn die Ehrlichkeit und die ungefilterten Emotionen von Schüler*innen haben das Potential, uns auf Gefühle und Erfahrungen in uns selbst aufmerksam zu machen, die sich manchmal sehr gut in uns versteckt haben. Ihnen fehlt es dabei oftmals noch an Selbstregulationsmechanismen, um starke Emotionen, wie die Wut, zu spüren, zu kommunizieren und danach wieder in einen ausgeglichenen Zustand zurückzukehren. Das kann dazu führen, dass wir in unserer Arbeit mit unkontrollierten Wutausbrüchen oder überwältigender Traurigkeit von Schüler*innen konfrontiert werden, die auch etwas in uns bewegen und wachrütteln können – sei es die eigene unterdrückte Wut oder die versteckte Trauer.  

Es gibt so viele kleine Momente jeden Tag, in denen wir selbst zu Schüler*innen unseres eigenen inneren Erlebens werden können, wenn wir beginnen, neugierig zu werden. 

Schüler*innen, die Gefühle des Verlassen-Seins äußern, können uns zeigen, wo wir in uns selbst noch Erinnerungen haben, in denen wir uns verlassen gefühlt haben. 

Schüler*innen, die äußern, dass sie etwas niemals schaffen werden, können uns zeigen, wo wir uns in uns vielleicht selbst Kompetenzen absprechen, die eigentlich schon lange vorhanden sind. 

Schüler*innen, die sich zurückziehen und nicht über ihr Erleben sprechen, können uns zeigen, wo wir selbst noch nicht den Mut aufbringen können, uns offen auszudrücken. 

Schüler*innen, die sehr zurückhaltend sind, können uns zeigen, wo wir uns selbst noch nicht in unserem Leben zeigen und Raum einnehmen, sondern uns aus Angst verstecken. 

Kinder rennen in einer lockeren Gruppe aus einem Gebäude heraus, sie tragen bunte Kleidung und Rucksäcke

Wir sollten Schüler*innen dabei unterstützen und sie ermutigen einen Weg zu finden, mit schwierigen Gefühlen und Gedanken umzugehen, diese zu kommunizieren und auszudrücken und dabei gleichzeitig hineinhorchen, wo wir in uns selbst dies auch noch lernen dürfen.

Und ja, wir sollten Schüler*innen dabei unterstützen und sie ermutigen einen Weg zu finden, mit schwierigen Gefühlen und Gedanken umzugehen, diese zu kommunizieren und auszudrücken und dabei gleichzeitig hineinhorchen, wo wir in uns selbst dies auch noch lernen dürfen. Denn in dem Maße, wie wir dies für uns selbst lernen, können wir erst authentisch vermitteln. 

Eine solche Haltung zu entwickeln, braucht vor allen Dingen unglaublich viel Geduld und Menschen, mit denen wir unsere Verletzlichkeit teilen, die einen Raum für uns öffnen, unsere manchmal auch sehr schwierigen Erfahrungen und damit einhergehenden unangenehmen Gefühle einfach so sein zu lassen und sie urteilsfrei ohne Lösungsversuche anerkennen. Diesen Raum habe ich in meiner Arbeit sowohl unter einigen Fellows als auch unter meinen Kolleg*innen an meiner Schule gefunden. 

Ein solcher Raum ist für mich der Schlüssel zur Verbindung und zur Veränderung, die durch Verbindung entsteht.   

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