14. Dezember 2021

Antirassismusprojekt mit DPDHL: Wie Schüler:innen zu Botschafter:innen gegen Rassismus werden

Vielfalt an Religionen, Migrationsgeschichten und Sprachen sind gerade im Ruhrgebiet keine Besonderheit, sondern gelebter Alltag. In diesem Zusammenhang gehören auch Diskriminierung und Rassismus zur Realität von Schülerinnen und Schülern. Dabei sollte gerade die Schule ein wichtiger Ort sein, um eigene Rassismen zu hinterfragen, rassistische Strukturen zu reflektieren und Strategien zu entwickeln, um diese abzubauen.

Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner DPDHL haben wir im vergangenen Jahr deshalb ein Antirassismus-Projekt ins Leben gerufen, bei dem sich vier Fellows mit ihren Schülerinnen und Schülern aus den Jahrgangsstufen 9 und 10 in Workshops und Trainings intensiv den Themen Rassismus, Diskriminierung und Demokratie gewidmet haben – mit dem Ziel, „Botschafter*innen gegen Rassismus“ zu gewinnen.

Eine der teilnehmenden Fellows ist Judith. In Zusammenarbeit mit DPDHL und ARIC NRW e.V. hat sie eine Projektwoche an ihrer Einsatzschule, der Städtischen Gesamtschule Recklinghausen Suderwich (Geresu), durchgeführt, bei dem die Schülerinnen und Schüler sowohl an Antirassismus-Workshops teilgenommen haben als auch selbst Inhalte für ein Antirassismus-Training entwickelten. Ein Projektbericht, mit Ideen und Inspirationen für eigene Aktionen.

Montag: Antirassismus-Training mit ARIC NRW e.V.

Am Montag starteten wir in unsere Projektwoche mit einem digitalen Antirassismus-Training vom Verein ARIC NRW e.V. Los ging es mit einem Namensspiel, bei dem die Schüler*innen über ihre eigenen Namen reflektierten. Im Anschluss wurden ihnen verschiedene Situationen vorgestellt, bei denen sie diskutierten, ob eine bestimmte Situation diskriminierend oder rassistisch sei. Zum Abschluss untersuchten die Schüler*innen in Kleingruppen verschiedene Werbeinhalte auf Rassismus. Zur Überraschung der Schüler*innen entdeckten sie verschiedene Formen von Rassismus auch in der Werbung namhafter Unternehmen. Das Anti-Rassismus-Training gab den Schüler*innen einen ersten Einblick in das Thema Alltagsrassismus, worauf wir in den nächsten Tagen weiter aufgebaut haben.

„Ich finde es wichtig, das Thema Antirassismus immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen und nicht zu vergessen. Das ARA-Projekt war eine tolle Idee, um sich auch noch gleichzeitig mit Teach First Deutschland, den Fellows und den dazugehörigen Schulen zu vernetzen.“

Michael Schmidt, Niederlassung Betrieb P&P Duisburg

Dienstag: Weiterführung „Sensibilisierung Rassismus“

Am Dienstag starteten wir den Tag damit, dass die Schüler*innen Gruppen- und Arbeitsregeln für die gemeinsame Projektwoche erarbeiteten. Die Herausforderung bei dieser Aufgabe lag vor allem darin, dass sie kaum Hilfestellung durch die Lehrkräfte erhielten und die Durchführung der Aufgabe selbst organisieren mussten. Anhand dieser Aufgabe konnten die Teilnehmer*innen der Projektwoche bereits erste Erfahrungen im Arbeiten als Team machen. Im Anschluss führten wir ein Positionierungsspiel durch. Hierbei sollten die Schülerinnen und Schüler sich zu verschiedenen Aussagen positionieren, reflektieren und argumentieren, ob die Aussage rassistisch, sexistisch oder homophob ist – oder ob beispielsweise noch Informationen fehlen, um die Aussage adäquat bewerten zu können. Diese Übung ermöglicht die Auseinandersetzung mit diskriminierenden Aussagen und einem tatsächlichen Faktencheck. Gleichzeitig wurden die Schüler*innen dafür sensibilisiert, dass es oft keine eindeutig richtige Antwort gibt.

Aus pädagogischer Sicht sprechen wir hier von Handlungs- und Gestaltungskompetenz (Student Agency). Schüler:innen, die sich als handelnde Akteure ihres eigenen Lernens verstehen, werden auch immer wieder „lernen zu lernen“ – eine unschätzbare Fähigkeit, die sie ihr ganzes Leben lang nutzen können. „Student Agency“ hilft außerdem bei der Identitätsbildung und trägt zur Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls der Schüler:innen bei.  

Darüber hinaus übernehmen unsere Fellows gemeinsam Verantwortung (Co-Agency): Sie setzen auf den proaktiven Aufbau von interaktiven, sich gegenseitig unterstützenden Beziehungen – mit Eltern, Lehrkräften, kommunalem Umfeld, außerschulischen Akteuren.

Diese Kontakte helfen den Lernenden dabei, ihre Ziele besser zu erreichen. Ganz praktisch heißt das: Statt bloßes Fachwissen aufzunehmen, das ihnen von Erwachsenen vermittelt wird, werden die Schüler:innen von unseren Fellows dabei begleitet, Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Bildungswegs zu übernehmen. Fellows – und immer mehr Lehrkräfte – werden so zu Lernbegleiter:innen.

„Es ist toll zu sehen, wie wichtig den Schülerinnen und Schülern das Thema „Anti-Rassismus“ ist und wie sie sich gemeinsam damit im Rahmen ihres Projektes auseinandergesetzt haben! Eines wurde wirklich sehr deutlich: Weder in unseren Schulklassen noch an unseren Arbeitsplätzen gibt es Platz für Rassismus.“

Boris Dräger, Deutsche Post AG Niederlassung Betrieb P&P Essen

Mittwoch: Einführung, Durchführung und Entwicklung „Mystery Methode“

Als durchführende Lehrkräfte war es uns wichtig, während der Projektwoche ein Argumentationstraining mit den Teilnehmer*innen der Projektwoche durchzuführen, um sie dazu zu befähigen, Argumente und eigene Worte gegen Rassismus zu finden. Dabei haben wir uns für die Mystery-Methode entschieden, die aufgrund des spielerischen Charakters leicht zu lernen und abwechslungsreich ist. Anhand dieser Methode lernen Schülerinnen und Schüler Argumente und Sachverhalte zu einem Themenkomplex kennen und bringen diese in einen logischen Zusammenhang. Im Rahmen des Mysterys durften die Schüler*innen Argumente und Informationen zur Frage nach der „deutschen Identität“ finden und diese in der abschließenden Diskussion gekonnt zur Anwendung bringen.

Donnerstag: Einführung Projektmanagementmethode, Produktplanung

Nach einem kurzen Fragenspaziergang, der uns als Zwischenfeedback zur bisherigen Woche diente, stellten wir den Schüler*innen die Rahmenbedingungen für die zu entwickelnden Produkte vor: „Entwickelt etwas, mithilfe dessen ihr andere Jugendlichen auf das Thema Alltagsrassismus aufmerksam macht und ihnen helft, Alltagsrassismus zu erkennen und etwas dagegen zu tun.“

Dann ging es direkt mit der Projektmanagementmethode „Train-Writing“ los! Jede*r erhielt einen Block mit Klebezetteln und einen Stift. Die Schüler*innen stellten sich in einer Reihe auf und gingen durch den Raum. Dabei notierten sie ihre ersten Ideen auf die Zettel und hefteten diese an den Rücken der Vorderperson. Nach einigem Durchwechseln der Vorderpersonen wurden die Zettel gesammelt und geclustert. Dieses Cluster wurde festgehalten und es ging zur „Wow-How-Now-Ciao-Matrix“ über. Die Matrix stammt aus dem klassischen Projektmanagement und besteht aus den Feldern How (schwierige Umsetzbarkeit, hohe Wirksamkeit), Wow (leichte Umsetzbarkeit, hohe Wirksamkeit), Now (leichte Umsetzbarkeit, geringe Wirksamkeit) und Ciao (schwierige Umsetzbarkeit und geringe Wirksamkeit). Bei den Wow-Ideen waren am Ende das Tages ein Quiz, ein Spiel sowie ein Rollenspiel notiert.

„Die Projektwoche war ein voller Erfolg! Die Teilnehmer*innen setzten sich in spielerischen Methoden mit einem wichtigen Thema auseinander, das die ganze Gesellschaft betrifft. Spätestens in dem Moment als die Schülerin Carolina anmerkt „Frau Fetsch, aber wenn Rassismus doch laut dem Grundgesetz verboten ist – warum gibt es dann keine Strafen für rassistisches Verhalten?“ war klar, dass wir Veränderungen im Denken unserer Schüler*innen angestoßen haben!“

Judith Fetsch, Fellow 2020-2022 in Recklinghausen

Freitag: Produktentwicklung

Am Freitag starteten wir mit der Gruppeneinteilung, um direkt an der Bearbeitung der einzelnen Kleinprojekte zu arbeiten. Während des restlichen Tags arbeiteten die Schüler*innen sehr produktiv an den einzelnen Produkten! Die Projektwoche war ein voller Erfolg! Die Teilnehmer*innen setzten sich in spielerischen Methoden mit einem wichtigen Thema auseinander, das die ganze Gesellschaft betrifft. Spätestens in dem Moment als die Schülerin Carolina anmerkt „Frau Fetsch, aber wenn Rassismus doch laut dem Grundgesetz verboten ist – warum gibt es dann keine Strafen für rassistisches Verhalten?“ war klar, dass wir Veränderungen im Denken unserer Schüler:innen angestoßen haben!

Auch Fellow Christine Becker-Hardt war Teil des Projektes und rief im Rahmen dessen an Ihrer Einsatzschule, der Kölner Katharina-Henoth-Gesamtschule, gemeinsam mit neun Schüler*innen eine Antirassismus-AG ins Leben. Die Schüler*innen kamen aus zwei Klassen, die bereits im Unterricht zu Rassismus und Diskriminierung gearbeitet hatten. In den zweiwöchentlichen Treffen nach der Unterrichtszeit beschäftigten sie sich weiter mit dem Themenfeld. Dabei war es Christine besonders wichtig, dass die Schüler*innen selbst entscheiden, welche Themen behandelt werden.

Der Einstieg in die Projektarbeit war auch bei uns der Workshop von ARIC NRW e.V., den wir aufgrund der Corona-Pandemie online durchführten. Inhalt und Aufbau des Workshops war ähnlich wie bei Judiths Gruppe: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Namen bot einen persönlichen Einstieg ins Thema, von dem aus wir uns diskriminierenden Aussagen aus Alltagssituationen und Stereotypen in der Werbung zuwandten. Zwischen diesen beiden Arbeitsphasen gab es einen Vortrag, der jede Menge Fragen beantwortete – und noch einmal mindestens genauso viele aufwarf.

„Rassismus und Diskriminierung sind Themen, mit den unsere Schüler*innen tagtäglich konfrontiert sind – und über die es in Schule doch so wenig Raum zu sprechen gibt. Mit der AG wollte ich einen solchen Raum schaffen: Für Austausch und Diskussion, auch der eigenen Erfahrungen; zum Fragen stellen und zum gemeinsamen Antworten finden.“

Christine Becker-Hardt, Fellow 2020-2022 in Köln

Diese Fragen waren der Ausgangspunkt für unsere weitere Arbeit: Wir sammelten sie nach dem Workshop und entschieden gemeinsam, in welcher Reihenfolge wir uns ihnen widmen wollen. Gibt es zum Beispiel auch positiven Rassismus? Und wer kann überhaupt diskriminieren? Besonders interessant fanden die Schüler*innen es dabei, in den Austausch miteinander zu kommen und zu erfahren, was in den Köpfen der anderen vorgeht.

Zum Abschluss des Schuljahres luden wir Gäste an unsere Schule ein: Die Schüler*innen hatten sich gewünscht, mehr über jüdisches Leben und Antisemitismus in Deutschland zu erfahren. Der Großteil der Gruppe ist muslimisch, einige Schüler*innen christlich. Mit dem Judentum hatten sie bisher nur durch die Auseinandersetzung mit Antisemitismus zur NS-Zeit Kontakt. Das Projekt „JUMU – Juden und Muslime” sollte das ändern. Referent Michael Moses Sandler, verband in seinem Vortrag theoretisches Wissen zu jüdischen Traditionen und Geschichte mit Einblicken in seine eigene religiöse Praxis, sein Aufwachsen und seinen Alltag – zu dem immer wieder auch Antisemitismus gehört. Im Anschluss arbeiteten die Schüler*innen gemeinsam mit den beiden muslimischen Referenten Mohamed Labari und Zakaria Nouri Gemeinsamkeiten von jüdischen und muslimischen Bräuchen und Traditionen heraus. Beim gemeinsamen Schawarma-Essen zum Abschluss waren sich die Schüler*innen einig: Dass es so viele Parallelen gibt, hätten sie nicht erwartet.

Eine weitere Fellow, die sich dem Projektvorhaben angeschlossen hat, ist Pia Wolff. Sie ist derzeit an der Gesamtschule Osterfeld in Oberhausen eingesetzt und hat eine AG ins Leben gerufen, in der sich Schülerinnen und Schüler regelmäßig mit Themen wie Vorurteile, Stereotypen, Diskriminierung und Rassismus auseinandersetzen.

Die AG ermöglicht den Schülerinnen und Schülern nicht nur regelmäßigen Austausch, sondern bietet einen Raum, um gemachte Erfahrungen zu teilen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Häufig werden zunächst Beiträge zu dem jeweiligen Thema angesehen, anschließend wird gemeinsam darüber diskutiert. In dem Zusammenhang haben die Schülerinnen und Schüler in Anlehnung an die Arbeit von bildmachen.net „Mit Memes gegen Islamismus“ selber Memes gestaltet, in denen sie ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen verarbeiten.

Am Tag der offenen Tür der Gesamtschule Osterfeld erklärten sie sich bereit, einen Stand zu den Themen der AG zu organisieren. Dazu erstellten sie Plakate und kleine Flyer, zudem führten sie mit interessierten Mitschülerinnen und Mitschülern ein Positionierungsspiel durch. Für das zweite Halbjahr planen die Schülerinnen und Schüler weitere Treffen und Veranstaltungen. In Zusammenarbeit mit Lehrkräften, die sich für unsere Schule als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ engagieren, leistet die AG einen wichtigen Beitrag im Einsatz gegen Rassismus .

Pia Wolff
Fellow 2020-2022 an der Gesamtschule Osterfeld in Oberhausen

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