29. November 2023

Berufsorientierung an Schulen: Herausforderungen und Lösungsansätze

von Heike Yürgüc, Projektleiterin Pilotprojekt Berufsorientierung in Berlin

„…eine inspirierende Lehrkraft,…das persönliche Netzwerk der Eltern, ein prägendes Praktikum, das Entdecken eigener Werte oder einfach der Zufall.“

Wer oder was hat eigentliche eine besondere Rolle in deiner Berufsorientierung gespielt?

Das ist oft gar nicht so leicht zu beantworten. Es ist schwierig, einen einzelnen Faktor als ausschlaggebend zu identifizieren, da die berufliche Orientierung eng mit der persönlichen Lebenswegfindung verbunden ist. Das Leben selbst ist bereits komplex genug.

Berufsorientierung im Bildungssystem – eine weitere Herausforderung ?

Die wachsende Vielfalt der Bildungs- und Ausbildungswege, Veränderungen in der Arbeitswelt und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie tragen zur Komplexität bei. Hinzu kommt, dass die Berufsorientierung Teil eines Systems ist, das disruptive Veränderungen benötigt. Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2023 zeigt, dass nur 37 Prozent der Jugendlichen die Unterstützung bei ihrer beruflichen Orientierung als ausreichend empfinden. Die Hälfte der Jugendlichen tut sich schwer, sich in den Informationen zur Berufswahl zurechtzufinden. Zudem sind soziale und emotionale Faktoren sowie die Unterstützung durch Eltern und Schulen entscheidend.

Wie kann man Berufsorientierung an Schulen effektiv gestalten?

Eine endgültige Antwort auf die Frage nach einer erfolgreichen Berufsorientierung gibt es wahrscheinlich nie, da die berufliche Entwicklung ein lebenslanger Prozess ist. Die genannten Themen und Impulse sind wichtige Schritte zur Unterstützung dieses Prozesses, sollten aber nicht isoliert betrachtet werden. Es existieren bereits zahlreiche Ansätze und Leitfäden (z.B. von der Bertelsmann Stiftung), die sich mit effektiver Berufsorientierung auseinandersetzen.

Schauen wir genauer auf die Herausforderungen, die in Schulen auftauchen, in denen Teach First Deutschland Fellows eine besondere Rolle spielen:

Praktikumssuche ohne 'Vitamin B'

Ein Praktikum ermöglicht den ersten Einblick in die Arbeitswelt. Unabhängig davon, ob die Erfahrung positiv oder negativ ist, ist sie wertvoll. Doch oft spielen Beziehungen bei der ersten Suche eine große Rolle. Viele Schüler:innen, die von Fellows betreut werden, können selten darauf zurückgreifen. Da es beispielsweise in Berlin noch keine spezielle Suchmaschine für Praktika gibt, könnten Schulen beginnen, Praktika-Listen zu führen – idealerweise mit Feedback von Schüler:innen und Lehrkräften zu den Unternehmenserfahrungen. Mein Tipp: Unternehmen, die ausbilden, anfragen, da dort eine größere Erfahrung im Umgang mit jungen Menschen besteht. 

Gemeinsame Arbeit in multiprofessionellen Teams

Eine effektive Berufsorientierung erfordert die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure: Über das Berufs- und Studienorientierungsteam hinaus gibt es Klassenlehrkräfte, Jugendberufsagenturen, Sozial- und Bildungsträger sowie Schulsozialarbeiter:innen, die die jungen Menschen begleiten und beraten. Koordination, Kommunikation und Vernetzung sind hierbei essenziell. Hier kommt das gebündelte Wissen über den Arbeitsmarkt und unterschiedliche Perspektiven auf einzelne Schülerinnen zusammen. Fragen wie: „Wer begleitet und berät aktuell welche Schüler:innen? Welcher Ausbildungsberuf oder welche weiterführende Schule könnte interessant sein? Wie stehen die Chancen und passt dies zum Schüler? Welche Alternativen gibt es?“ können am besten gemeinsam erarbeitet werden. 

Entdeckung und Reflexion von Stärken, Talenten und Interessen

 Es ist keine leichte Aufgabe, jungen Menschen dabei zu helfen, eine Verbindung zu sich selbst aufzubauen und sich selbst kennenzulernen. Ein Stärkenworkshop ist ein Anfang, doch eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken während der Schullaufbahn wäre wünschenswert. Schulen sollten neben externen „klassischen“ Angeboten wie Potenzialanalysen und Berufswahltests auch intern stärkenorientiert arbeiten, um Schülerinnen in ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern. Prozessorientiertes Feedback und das Feiern gemeinsamer Erfolge, wie das Finden eines Praktikums- oder Ausbildungsplatzes, sind hierbei zentral. Hierbei helfen außerunterrichtliche Angebote (ohne Noten!), die Selbstwirksamkeit und Interessen der Schüler fördern. 

Kooperation zwischen Schulen und Unternehmen

Um den Wandel der Arbeitswelt zu begreifen und Schülerinnen realistische Einblicke zu ermöglichen, sind interaktive Veranstaltungen und enge Zusammenarbeit mit Unternehmen unerlässlich. Die Möglichkeiten reichen von internen Karrieremessen, Azubivorstellungen im Unterricht, Berufsorientierung als Wahlpflichtfach mit Unternehmensbezug bis hin zu praxisnahem Lernen mit realistischen Aufgaben. Wichtig ist der gegenseitige Austausch: Unternehmen benötigen Einblicke in die Herausforderungen und Bedürfnisse junger Menschen, während Lehrkräfte und Schülerinnen von Einblicken in die Arbeitswelt außerhalb der Schule profitieren. Und ja, fragt die Schüler, was sie interessiert, und plant danach. Am Ende ist der gute Mix aus interessensgeleiteten Besuchen und Impulsen zu neuen Berufsfeldern entscheidend. 

Mein Fazit: Gelingende Berufsorientierung als Teil des Schulalltags

Auch das beste Berufsorientierungsprogramm kann nur im Rahmen eines unterstützenden Unterrichtsumfelds erfolgreich sein. Das Schulsystem steht zwar vor vielen Herausforderungen, sollte aber dennoch auf den späteren Lebensweg vorbereiten. Future Skills, finanzielle Bildung und Selbstständigkeit sind ebenso wichtig wie das Schaffen von Verknüpfungen zwischen dem Gelernten und der realen Welt. Studien haben gezeigt, dass eine erfolgreiche Berufsorientierung zu besseren schulischen Leistungen führen kann. Ein junger Mensch mit Lebenszielen versteht den Sinn der Schule besser und kann sich motivierter auf seinen Bildungsweg konzentrieren.

Es geht um die Zukunft von morgen, und das sollte nicht nur die Schule als Akteur begreifen, sondern auch die Bildungspolitik, die Unternehmen und die Betriebe. Viel zu viel Potenzial geht in unserem System noch verloren, oder wird nicht früh genug erkannt und gefördert. Eine Auseinandersetzung mit und Stärkung von eigenen Kompetenzen sollte mehr Raum im Schulalltag bekommen. 

Zuletzt gilt es, aus diesen Impulsen ein System zur Berufsorientierung für die jeweilige Schule zu entwickeln, planerisch an die Berufsorientierungsaufgaben heranzugehen und somit Aufwand und Wirkung in der Planung im Blick zu behalten. Wie wäre das wohl, wenn ein junger Mensch auf die Eingangsfrage als Antwort parat hätte: „Meine Schulzeit war so gut, dass es mir bei meinen ersten Schritten geholfen und nachhaltig befähigt hat, meinen Weg zu gehen.“ 

 

Über Heike Yürgüc

Heike war von Sommer 2021 bis September 2023 Fellow an der Willy-Brand-Schule in Berlin, wo sie heute ein gemeinsames Entwicklungsprojekt zur Berufsorientierung von Teach First Deutschland und der IHK Berlin leitet.

Heike Yürgüc
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