25. Mai 2023

Berufsorientierung und Leadership in der Schule

Leadership in der Schule – Wie Fellows jeden Tag Veränderung bewirken

Im Leadership-Programm lernen wir, Verantwortung zu übernehmen. Dabei bewegen wir uns auf drei Verantwortungsebenen Leading self, Leading students und Leading systems. Theoretisch ist es ganz einfach: Wir übernehmen Verantwortung für unseren eigenen Lernerfolg (leading self), für die Entwicklung unsere Schüler:innen (leading students) und für systemische Veränderungen in unsere Gesellschaft (leading systems) Doch was bedeutet das in der Praxis konkret? Sichtbar wird Leadership zum Beispiel in einem Bewerbungstraining für Schüler:innen in Hamburg.

Wie können Schüler:innen das Bewerben für Ausbildungsplätze üben?

Die 10. Klasse ist nicht nur das Jahr, in dem die Schüler:innen in Hamburg ihren ersten oder mittleren Schulabschluss ablegen, es ist auch das Jahr, in dem sie sich auf Ausbildungsplätze bewerben! 

Das Schreiben von Bewerbungen können wir in der Schule gut üben, bei Vorstellungsgesprächen ist es viel schwieriger, sie realitätsnah nachzustellen. Ich entschied mich daher für die Organisation eines Bewerbungstrainings als Corporate Volunteering Veranstaltung. Ernst&Young stellte dafür Mitarbeitende einen Tag frei, sodass nicht die den Schüler:innen gut bekannten Lehrkräfte die Gespräche simulierten, sondern sie professionelle Gespräche und Feedback erlebten. 

Im Vorfeld haben die Schüler:innen Ausbildungsplatzangebote zu dem jeweiligen Ausbildungsberuf herausgesucht, für den sie sich bewerben möchten. Für dieses reale Angebot haben sie anschließend eine vollständige Bewerbung erstellt.

Was hat das Bewerbungstraining mit Leadership zu tun?

Im Vorfeld der Simulation haben die Volunteers und ich uns zu einem Briefing getroffen. Ziel der Simulation ist es, dass die Schüler:innen ein ehrliches Feedback bekommen und gleichzeitig eine positive Erfahrung machen, damit sie motiviert und gestärkt in reale Bewerbungsgespräche gehen können. 

Dieser Spagat war schwierig und ein sensibles Briefing erwies sich als äußerst wichtig, natürlich musste es jeweils individuell unterschiedlich auf die Schüler:innen zugeschnitten sein. Dabei galt es für mich die Informationsmenge abzuwägen, die den Volunteers über die einzelnen Schüler:innen zur Verfügung steht. Je mehr Informationen den Volunteers vorliegen, desto besser können sie diesen Spagat bewältigen und die Schüler:innen sollen von dieser Übungssituation ein möglichst nützliches Feedback für die kommenden Bewerbungsgespräche bekommen. Gleichzeitig liegen dem Arbeitgeber in einer realen Bewerbungssituation nur begrenzt viele Informationen über die Bewerber:innen vor, die diese zudem weitgehend selbst auswählen. Und es sollte natürlich eine möglichst realistische Situation simuliert werden. 

Das Feedback der Volunteers war für mich in meiner Arbeit mit den Schüler:innen hilfreich. Als Fellows stehen wir immer wieder vor der Frage, bis zu welchem Grad wir die Schüler:innen bei Bewerbungen unterstützen sollten. So waren die Bewerbungsunterlagen teils unzureichend, um zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Im Gespräch haben die Schüler:innen dann aber überzeugt.

Corporate Volunteers fungieren als Vorbilder in der Berufsorientierung, Sie ermutigen die Schüler:innen, einen ähnlichen beruflichen Weg zu gehen, und konnten gleichzeitig darüber berichten, wie sie mit Hindernissen umgegangen sind.
Drei Personen sitzen in einem Bewerbungsgespräch-ähnlichem Setup an einem Tisch, die vorderste Person macht sich Notizen

Leading Self

Fellows erlernen im Leadership-Programm Strategien, um im Umgang mit adaptiven Herausforderungen Lösungsideen zu entwickeln und Fortschritte zu erzielen. Fellows lernen achtsam mit sich und ihrem Umfeld umzugehen und situationsbezogen zu handeln. Genau, wie ihrer Schüler:innen nehmen sie sich Zeit für Reflektion und entwickeln ihre Kompetenzen jeden Tag weiter.

Was konnte ich für meine eigene Entwicklung in der Unterstützung meiner Schüler:innen mitnehmen?

Etwas mehr Unterstützung bei den Unterlagen ist durchaus legitim, da die Schüler:innen so ungleich höhere Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. In der Berufsberatung versuchen wir, die Schüler:innen so zu beraten, dass ihr Schulabschluss mit dem angestrebten Beruf kompatibel ist. Manchmal müssen dann Alternativen gefunden werden, wenn beispielsweise ein Hauptschulabschluss erreicht wird, aber für den Beruf ein Studium notwendig wäre. Bei eben diesen Schüler:innen ist den Volunteers in den Vorstellungsgesprächen oder Feedbackgesprächen manchmal aufgefallen, dass es eigentlich einen ganz anderen Berufswunsch gibt. Für diesen Beruf zeigten die Schüler:innen viel Begeisterung und konnten von sich als geeignete Bewerber:innen eher überzeugen. Auch hieraus konnte ich für meine Arbeit als Fellow und die Berufsberatung ein wichtiges Learning ziehen: Der Widerspruch lässt sich vielleicht nicht gänzlich auflösen, aber er ist ein wichtiger Hinweis, dass die Beratung noch verbessert werden kann.

Leading Students

Eine der zentralen Aufgaben als Fellow ist es, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, Verantwortung für sich, ihren Lernprozess, für andere und die Gemeinschaft zu übernehmen. Sie unterstützem sie dabei ihre Potenziale zu entdecken und weiterzuentwickeln.

Was konnten meine Schüler:innen aus dem Bewerbungstraining mitnehmen?

Für die Entwicklung der Schüler:innen hatte ich zwei Ziele – einerseits Mut und Motivation für Vorstellungsgespräche aus dem Training mitzunehmen, andererseits konkrete Tipps hierfür zu bekommen.  

Die Simulation nahm den Schüler:innen die Angst vor der neuen, unbekannten Situation des Bewerbungsgesprächs. Die Schüler:innen wurden motiviert, ihre Bewerbungen für Ausbildungsplätze fertigzustellen und abzuschicken. 

Bekommt man in realen Bewerbungsgesprächen nur sehr selten eine Rückmeldung zum eigenen Auftreten im Gespräch, war dies im Bewerbungstraining ganz anders. Die Schüler:innen  profitierten sehr vom ausführlichen Feedback der Volunteers.  Sie erhielten wertvolle Tipps, wie sie mit ihrer Biographie und ihren Kompetenzen im Vorstellungsgespräch überzeugen können. So ist z.B. die Mehrsprachigkeit vieler Schüler:innen ein Pluspunkt bei allen Berufen mit Kundenkontakt. Sie verweist darüber hinaus auf besondere kognitive Leistungen. Die Volunteers konnten den Blick der Schüler:innen dafür schärfen, welche ihrer Kompetenzen für den Arbeitsmarkt relevant sind. Plötzlich gerieten Alltagsbeschäftigungen in den Fokus, die den Schüler:innen zunächst wenig bedeutsam erscheinen. Die Mitgliedschaft im Sportverein, das regelmäßige Training stellen Durchhaltevermögen unter Beweis. Das Babysitten zeigt verantwortungsvolles Verhalten und Verlässlichkeit.  

Mit ihrer Aufsteigerbildungsbiographie boten einige Volunteers zudem ein hohes Identifikationspotential für die Schüler:innen. Sie fungierten als Vorbilder, die die Schüler:innen ermutigten, einen ähnlichen Weg zu gehen, und gleichzeitig darüber berichten konnten, wie sie mit Hindernissen umgegangen waren.

Leading Systems

Fellows bauen Beziehungen zu Akteur:innen innerhalb und außerhalb der Schule auf, zu Eltern, zu Kooperationspartnern. Sie helfen eine offene Schule (mit)zugestalten, die Teil des Stadtteils und der Stadt wird. Impulse gehen in die Schule hinein und in die Gesellschaft hinaus. Ihre Schüler:innen lernen verschiedene Akteur:innen kennen, entwickeln Kompetenzen weiter und profitieren von der Expertise der außerschulischen Akteur:innen.

Welche (kleinen) systemischen Veränderungen konnte ich mit dem Bewerbungstraining anstoßen?

Neben den Dimensionen leading self und leading students, stoßen wir als Fellows durch unsere Projekte auch systemische Veränderungen an. Durch Corporate Volunteering kommen Menschen in Kontakt, die sich sonst nicht begegnen.  Die Stadtteile, in denen unsere Einsatzschulen liegen, sind in der Außenwahrnehmung oft assoziiert mit Armut, Perspektivlosigkeit und teilweise mit Gewalt. Das entspricht nicht der Realität und auch nicht der Selbstwahrnehmung der Schüler:innen.   Nach der Veranstaltung berichten die Volunteers im Unternehmen und vielleicht sogar in ihrem privaten Umfeld von ihren Erfahrungen. Dadurch werden neue und wahrscheinlich oft andere Eindrücke aus unseren Stadtteilen in die Gesellschaft transportiert.   Auch die Schüler:innen erleben eine andere Welt. In den Feedbackgesprächen und beim Pizzaessen nach der Simulation stellten sie Fragen zu den Biographien der Volunteers und waren insbesondere interessiert an den Auslandsaufenthalten: „Frau Ayeb, und sie war in London. Sie hat mir richtig viel darüber erzählt. Das war total toll!“   Doch nicht nur Stadtteile rücken durch Corporate Volunteering enger zusammen, sondern auch Schulwelt und Wirtschaftswelt. Ein regelmäßiger Abgleich ist notwendig, um die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt auch in der Berufsorientierung an den Schulen berücksichtigen zu können. Durch die Simulation kann es Schule gelingen, wieder stärker am Puls der Zeit zu sein. Umgekehrt können die Unternehmen ihre Stellenprofile mit den Vorstellungen ihrer zukünftigen Arbeitnehmer:innen abgleichen.   Eine Schülerin berichtete nach ihrer Bewerbungssimulation: „Am Anfang war ich sehr angespannt. Ich dachte, dass das Gespräch strenger wird.“ Hier wird deutlich, dass Bewerbungsgespräche nicht verallgemeinert erklärt werden können. Je nach Unternehmenskultur und Jobprofil, unterscheiden sich das passende Outfit und die verwendete Sprache deutlich. 

Mein Fazit

Das Bewerbungstraining hat mir noch einmal gezeigt, wie wir Fellows jeden Tag Verantwortung übernehmen, den abstrakten Leadership-Begriff mit Leben füllen und jeden Tag kleine Veränderungen anstoßen – bei mir selbst, bei meinen Schüler:innen und in unserer Gesellschaft.  Durch Feedback der Volunteers habe ich gelernt, meine Berufsberatung zu verbessern. Meine Schüler:innen haben gelernt, worauf es in Bewerbungsgesprächen ankommt, welche ihrer Stärken im Berufsleben gefragt sind und dass sie keine Angst vor diesen Gesprächen haben müssen. Durch das Corporate Volunteering rücken Stadtteile zusammen, Menschen lernen sich kennen, bauen Vorurteile ab und auch Wirtschafts- und Schulwelt tauschen sich aus. 
Portrait von Ines Ayeb

Über Ines

Ines Ayeb ist seit August 2021 als Fellow im Programmschwerpunkt Sicherer Übergang in drei 9. Klassen der Brüder-Grimm-Schule in Hamburgs Osten eingesetzt. Zuvor hat sie in Freiburg Gymnasiallehramt für Mathematik, Französisch und Politik- und Wirtschaftswissenschaft studiert. Neben ihrem Studium begeisterte sie Schüler*innen in Workshops für Themen der politischen Bildung und des Globalen Lernens.   

Ihr Motto als Fellow: „Anker und Mutmacherin für die Schüler*innen sein in einer Zeit der Unsicherheit und zunehmender Bildungsungerechtigkeit!“

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